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Ein „Wesen der Neuzeit“ gibt es nur in den Sekundärmythen der Aneignungshermeneutik. Es fungiert in ihnen als die Leerantizipation1 eines universalen Verständigungsrahmens für Explikationsschritte, die zumeist erst über supponierte Positionsformeln auf den Boden der manifesten Diskurse zurückfinden. Dieser Boden wird oft nur scheinbar erreicht. Daß das subiectum in seiner Subiectität zu Beginn der neuzeitlichen Metaphysik bei Descartes im „vor sich hin und zu sich her Stellen“ der re-praesentatio zum fundamentum absolutum inconcussum veritatis wird2, ist in einer bestimmten Horizontintention von hoher Plausibilität. Aber es handelt sich hier nur um die Rekonstitution eines anderen Diskurses, den man unter der Oberfläche des Diskurses, den man interpretiert, vermutet und der zu ihm allegorisch ist.3 „Absolut“ nennt Descartes das ego cogito nie, und er nennt es nicht Subjekt. „Inconcussum“ ist für ihn synonym mit „indubitable“. Er sucht nicht nach einem Fundament der Wahrheit, sondern nach dem fundamentum omnis humanae certitudinis4, und er findet es in dem ersten der weltbezüglichen Attribute Gottes, „quod sit summe verax, et dator omnis luminis“.5 Dabei folgt er für den intuitus mentis dem alten dreistelligen Stellvertretermodell der Repräsentation: Ideen stellen mir kraft ihres gegenständlichen Wirklichkeitsgehaltes etwas dar. Obwohl ich Gott durch eine angeborene Idee, die ihn repräsentiert, erkenne, kann ich mir Gottes Vollkommenheiten gerade nicht vor-stellen (hoc nobis, ut ita loquar, repraesentare non possumus6), denn dies hieße, ihn zu einem Gegenstand der Imagination machen. Die Operation des imaginari, für die bereits ein „sibi repraesentare“ eintreten kann7, muß vom „sola mente percipere“ sorgfältig unterschieden werden. Für die Wissensarchäologie – und jede andere Position, die im Gesagten das sucht, was an ihm am schwersten sichtbar zu machen ist, nämlich das Gesagte – hat Heidegger darum gar nicht von dem cartesischen Diskurs gehandelt, denn sie ist keine „discipline interpretative: elle ne cherche pas un ‚autre discours‘ mieux caché. Elle se refuse à être ‚allégorique‘
Auch den hellsten Köpfen unter den Modernitätstraditionali- [102] sten scheint gegenwärtig nicht klar zu sein, wie weit sie den Außenhorizont für Erscheinungen der philosophischen Moderne öffnen sollen. Max Webers Formel vom okzidentalen Rationalismus verführt dazu, so etwas wie eine gesamtabendländische Seinsdeutung oder Vernunfttradition zum universalen „Glaubensboden“ für die Selbstvergewisserung der Moderne zu machen und der Geschichte des Denkens damit jenen „horizon préalable“ zu geben, der für Foucault das Indiz ihrer transzendentalen Unterwerfung ist.9 Dann ist die Moderne im „begrifflichen Horizont des westlichen Rationalismus“ entstanden und hat ihr Selbstverständnis „aus dem Horizont der abendländischen Vernunft“ gewonnen.10 Ihr Prinzip soll andererseits mit Hegel die Subjektivität sein.11 Weberscher Rationalismus und Hegelsche Subjektivität sind allerdings so verschiedene Dinge, daß es schwerlich gelingen wird, sie befriedigend ineinander zu integrieren. Vielmehr scheint es gerade Fichtes Insistenz auf intellektueller Anschauung – sein „Illuminismus“ – den Zeitgenossen unmöglich gemacht zu haben, Kants kopernikanische Wende als einen Positionswechsel innerhalb einer einzigen rationalistischen Tradition zu deuten. Schopenhauer hat später Rationalismus und Illuminismus als die Pole verstanden, zwischen denen das Pendel der Philosophie aller Zeiten hin und her schwingt
Ein Illuminismus tritt danach immer dann auf, „wann der Rationalismus ein Stadium, ohne das Ziel zu erreichen, durchlaufen hat“.12 Diese Situation war nach ihm durch den Kritizismus gegeben. Die Vernunftkritik hatte den alten Rationalismus Leibnizisch-Wolffischer Provenienz untergraben.13 Aber damit wurde für den echten Rationalismus – so deutet es später Jacobi – vorerst nur ein leerer Platz gewonnen, der durch den „bodenlosen Abgrund einer absoluten Subjectivität“ nicht besetzt werden konnte.14 Daß das vorstellende Subjekt der das „eigentliche Fundament, oder allgemeine Princip der Kritik der reinen Vernunft“ ausmachende kantische „Grundbegriff“ ist15, mithin durch diese „durchgängig, aber stillschweigend, nichts als bloße Subjektivität“16 vorausgesetzt wird, hat Reinhold nach eigenem Eingeständnis ohnehin zunächst ebensowenig wie andere erkannt: „Daß dieses Fundament nichts anderes sey und seyn könne, als die absolute Subjektivität ahnete der Verfasser jenes Versuches so wenig als irgend sonst ein Kantianer, und als Kant vielleicht
selbst nicht bis auf den heutigen Tag es ahnet.“17 Jacobi hat es als erster gezeigt18 und [103] damit die Fichtesche Wissenschaftslehre vorbereitet.19 „Die Stifter der reinen Ichlehre ließen sich dieses nicht vergeblich gesagt seyn. Sie machten die Subjektivität ausdrücklich und laut genug als das Absolute und Urwahre geltend.“20 So hatte es Fichte 1795 gegenüber Reinhold getan. Er schreibt ihm, Kant habe „etwas in die Menschheit gebracht, das ewig in ihr bleiben wird“, zu dessen Entdeckung sie aber Jahrtausende brauchte, daß man nämlich „von Untersuchung des Subjekts ausgehn“ müsse. Obwohl er aber „offenbar auf die Subiectivität hindeutet“, will er die drei Vermögen im Menschen „überhaupt nicht unter ein höheres Princip unterordnen, sondern läßt sie bloß coordinirt bleiben“. „Ich subordinire sie dem Princip der Subiectivität überhaupt.“
Fichte ist darüber nach dem spektakulären Anfangserfolg der ersten Jenenser Jahre philosophisch vereinsamt. Alle Wege führten von ihm weg. Schelling und Reinhold haben sich nach einigen Jahren vom „Fichtismus“ abgewendet, Kant, Jacobi, Bouterwek, Bardili, Hegel, Fries und andere ihm nie zugestimmt, seine Hörer Herbart, Krause und Schopenhauer sind nie Fichteaner geworden. Schon bald konnte Hegel sagen, Fichtes Philosophie habe das Zeitbedürfnis gegen sich gehabt und darum nicht „Glück gemacht“. Jetzt ist es Reinholds Absage an die „metaphysische Subjektivitätslehre“22 im Namen eines rationalen Realismus, die im Zeitbedürfnis schwimmt.23 Prinzipieller formuliert zur selben Zeit Jacobi das Unbehagen an der Wissenschaftslehre: „Etwas im Menschen widersetzt sich einer absoluten Subjectivitätslehre, dem vollkommenen Idealismus ...“24 Aus der Gesamtopposition gegen den „Illuminismus“ der reinen Ichlehre heraus formulieren sich neue Rationalismen. Für Bardili wäre jegliche Allgemeinheit und strenge Notwendigkeit nicht das, wofür sie sich im Denken eines jeden ausgibt, „wenn’s um sie etwas bloß subjektives ... wäre.“ „Das Gedachte, als gedacht, ist, und ist ohne alle Rücksicht auf menschliche Subjektivität, welche ihm, als einem Gedachten, nichts von Realität geben, und nichts davon nehmen kann.“25 Reinhold hat sich zum Protagonisten der Forderung gemacht, „das Wesen des Denkens ohne Subiektivität
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